Wir begleiten Menschen – und führen Tagebuch

Während der Pandemie 2020

Bericht Pflege

Bericht 1 – Ein Frühdienst im ASB-Seniorenhaus

"Mein Name ist Daniela, ich bin 40 Jahre alt, gelernte Krankenschwester und arbeite normalerweise in der ASB-Tagespflege in Fehrbellin. Zusätzlich fahre ich zu Pflegebedürftigen in der Stadt und auf dem Land um sie zu beraten. Außerdem kümmere ich mich in den beiden ASB-Tagespflegen in Fehrbellin und Neuruppin als Praxisanleiterin um Schüler und Praktikanten.

Seit Ende März bin ich nun aufgrund der Corona-Pandemie im ASB-Seniorenhaus „Am Schulplatz“ im Einsatz, da die Tagespflegen im Zuge der Eindämmungsmaßnahmen geschlossen wurden. Was für eine Umstellung, gefühlt ist für mich dieser Teil der Arbeit in der Pflege 100 Jahre her! Zu den Unsicherheiten wie: „Was wird aus den Tagespflegen und vor allem den Gästen? Was wird mit meiner Arbeitsstelle? Schaffe ich die Anforderungen im Seniorenhaus?“ Nehmen mich die Kollegen gut auf?“, kommen plötzlich wechselnde Schichten, Wochenend- und Feiertagsarbeit.

Heute habe ich einen Frühdienst, der Wecker hat um 04:40 Uhr geklingelt, oh man. Viel schneller als sonst mache ich mich fertig, der Kaffee wird nebenbei getrunken, die Hunde füttert mein Sohn, der muss ja schließlich nicht zur Schule. Der Knoten für die Haare will nicht gelingen, neuerdings schaue ich dazu Tutorials im Internet, aber da sah das Ganze viel einfacher aus. Egal, ich muss los. Nachdem ich endlich einen der raren Parkplätze gefunden habe gehe ich rein um mich umzuziehen. Frau J. hat mir neue Sachen aufs Fensterbrett gelegt. Ich konnte mir aussuchen ob ich Kittel oder Shirt zur Hose tragen möchte. Für Letzteres habe ich mich entschieden und somit ein buntes Potpourri an Hosen und Shirts, allesamt bequem und ausreichend für mich.

Die Kollegen von der Nachtschicht warten schon.
1. Händedesinfektion. Gibt es noch einen Einmalmundschutz für mich? Ja, zum Glück. Nette Menschen haben selbstgenähte Alltagsmasken gespendet, die Micha vom Fahrdienst für uns aufbereitet. „Masken waschen“ ist sein neues „Schüler transportieren“. Die Idee ist toll, aber die Kollegen und auch ich möchten sie nicht tragen. Am Anfang haben sie komisch gerochen, das hat man ja beheben können, die Stoffe scheinen auch nicht immer neu zu sein. Die Kollegen schwören, darunter eine Maske aus einer Boxer-Shorts und auch ehemaliger Bettwäsche gesehen zu haben. Auha, das möchte ich nicht an meinem Gesicht haben, der Kopf spielt da nicht mit, ganz abgesehen vom unzureichenden Schutz. Also Einwegmasken.

Nach der Übergabe geht’s los. Ich bin auf der 2. Etage eingeteilt, kenne die Bewohner, habe „diese Seite“ aber noch nicht so oft versorgt. Ich richte mein Tablett für die spätere Verteilung der Morgenmedikation her. Wem bin ich heute beim duschen behilflich? Wer arbeitet mit mir auf der Etage? Liegt etwas Besonderes an? Das Telefon übernimmt glücklicherweise die Pflegedienstleiterin für mich und fängt so viele Anrufe ab, die ich wahrscheinlich sowieso nicht immer beantworten kann. Es melden sich etliche Angehörige, die ihre inzwischen wieder eingeschränkt erlaubten Besuche abstimmen möchten, Ärzte, die Apotheke, die „Chefetage“ und noch viele mehr. Ich nehme mir einen Mundschutz, vom ständigen tragen habe ich Pickel an Mund und Kinn, das Infrarot-Thermometer und ziehe los. Zuerst will ich zu Frau S. Sie ist in Quarantäne, ein Wort das ich echt nicht mehr hören kann. Nach einem Krankenhausaufenthalt müssen die Bewohner vorsichtshalber für 14 Tage isoliert werden, das ist jetzt Vorschrift und das sehe ich auch ein. Das Bad nebenan ist immer verschlossen, da Herr L. ständig unterwegs ist, Dinge woanders hinlegt oder kaputt macht. Ich schließe es auf um mich zu präparieren. Blaue Überzieher, eine FFP2 Maske (noch luftundurchlässiger als der normale Einwegmundschutz), eine Haube (gleich ist die Frisur hin), desinfizieren, Handschuhe und den am Körper festhaftenden Schutzkittel aus Plastik ziehe ich nun über. Habe ich alles dabei? Okay, ich gehe rein!

Frau S. liegt im Bett und strahlt mich an. Ich begrüße sie, unterhalte mich mit ihr und verrichte derweil meine Arbeit. Sie greift nach meiner Gesichtsmaske und meint: „Nimm das doch mal ab, was hast du denn da drunter, ein Vogelnest?“ Ist das herrlich! Mit dem Infrarot-Thermometer ziele ich auf ihre Stirn und finde es irgendwie seltsam. Bevor ich das Zimmer verlasse, muss ich genau überlegen was ich später zum Beispiel noch auffüllen muss, ansonsten bleibt alles was im Raum ist auch im Raum und wird speziell entsorgt, die Wäsche, das Geschirr usw. Zurück im Bad entsorge ich die Handschuhe im Sondermüll, alles andere, auch die Maske muss für die Dauer meines Dienstes ausreichen. Schon jetzt bin ich komplett verschwitzt.
Bad wegen Herrn L. abschließen und weiter mit meinem normalen Mundschutz, den ich ab jetzt für eine Weile ständig tragen muss und neuen Handschuhen, die ich aufgrund meiner frisch desinfizierten und verschwitzen Hände nur schwer anbekomme. Ich betrete das nächste Zimmer und versorge Frau P. Sie öffnet nur leicht die Augen und zeigt keine Mimik. Ich „lüfte“ kurz meinen Mundschutz um ihr mein Gesicht zu zeigen. Sie fängt an zu strahlen und streckt mir die Arme entgegen. Ich gebe nach und umarme sie, das genießt sie eindeutig und mir geht es nicht anders! Ich spreche mit ihr, führe die Handlungen langsam aus, ansonsten wird sie unruhig, schimpft und schlägt. Als ich fertig bin wende ich mich Frau H. zu. Vorher natürlich noch, desinfizieren, neue Handschuhe neues Glück. Ich spreche mit ihr, reiche etwas zu trinken, schaue in die Inko und lagere sie, später komme ich wieder um sie zu duschen, das nimmt einige Zeit in Anspruch, jedenfalls bei mir.Desinfizieren, neue Handschuhe, neues Glück. Im nächsten Zimmer wuselt Herr L. schon umher, er ist heute gut drauf und kommt gleich mit ins Bad wo ich ihn, heute mal problemlos, versorgen kann. Als ich mit ihm fertig bin läuft er los. Alle Kollegen achten auf den Mindestabstand und die Hygieneregeln aber Herr L. ist ein „Läufer“, muss ständig umher gehen, Dinge anfassen, Menschen ansprechen. Ihn schert Corona nicht. Bett richten, desinfizieren, neue Handschuhe, neues Glück. Herr K. im selben Zimmer lächelt mich an, spricht mit mir. Auch er ist heute gut drauf. Er ist bettlägerig, groß und schwer für mich, es ist anstrengend und ich schwitze weiter. Ich reiche ihm etwas Tee, schalte den Fernseher ein und gehe zum nächsten Bewohner.

Desinfizieren, neue Handschuhe, neues Glück. Die Damen im Nebenzimmer sind schon fast fertig, sie begrüßen mich freudig und erzählen mit mir während ich die Betten richte und kleine Hilfestellungen gebe.

Oh man, schon so spät, ich muss los um die Medikamente zu verteilen und das Insulin zu geben. Die Pflegedienstleiterin nimmt mir die obere Etage ab, puh! Hände desinfizieren und los. Das Verteilen bereitet mir keine Probleme und ich kann mich nebenbei mit den Bewohnern etwas unterhalten. Das fehlt mir aus meiner Arbeit in der Tagespflege. Viele Menschen in den Seniorenhäusern können sich vielleicht noch mit Gesten mitteilen, andere können sich gar nicht mehr äußern, man kann oft nicht einmal an der Mimik ablesen was in ihnen vorgeht. Das Frühstück für die Bewohner wird gebracht und die Betreuungskräfte, die leider nicht immer da sind, verteilen es gemeinsam mit dem Pflegepersonal. Ich weiß langsam wer was bekommt und bringe das Essen zunächst zu Herrn K. Er isst allein im Bett und bekommt aufgrund eines Krebsleidens spezielle Kost. Er freut sich mich zu sehen und beginnt gleich zu essen. Bevor ich Frau P. das Essen anreiche, gebe ich Frau H. das Frühstück, sie isst selbstständig. Anschließend werfe ich mich in die „Montur“, hoffe, dass ich alles auf einmal wegbekomme und bringe Frau S. in der Quarantäne das Frühstück sowie die Medikamente. Sie hat endlich wieder Appetit und freut sich auf die Mahlzeit. Ich pelle mich wieder aus, schließe das Bad ab, Hände desinfizieren und auf zu Frau P. In diesem Zimmer ist es immer sehr ruhig, ich empfinde die Zeit des Essen Anreichens als sehr entspannend. Als Frau P., Frau H. und Herr K. fertig sind, räume ich ab und bringe das Geschirr nach vorn in den Aufenthaltsraum. Die Kollegen haben schon alle Bewohner versorgt. Herr K. wird, wie so oft nach dem Essen sehr müde und schwach, ich lagere ihn, den Sauerstoff lehnt er ab, er schläft sofort. Wieder Hände desinfizieren, die komplette „Montur“ anlegen und ab geht’s zu Frau S. in der Quarantäne. Das Geschirr kommt im Zimmer in eine spezielle Box, ich unterhalte mich noch ein wenig, frage ob sie zur Toilette muss und verlasse das Zimmer. Auspellen, Hände desinfizieren und weiter. Die Lagerung, Essen und Trinken wird zwischenzeitlich immer wieder in bereit liegenden Heftern dokumentiert.

Bis zur Pause habe ich noch genug Zeit um Frau H. wie geplant zu duschen. Also, desinfizieren, neue Handschuhe, neues Glück. Ich bereite alles vor ziehe Frau H. aus, setze sie auf den Toilettenstuhl und fange an sie zu duschen. Die Abläufe sind für mich weiterhin ungewohnt. Ich muss mir jeden Schritt überlegen, nichts geht flüssig von der Hand. Wie kriege ich es fertig, die Frau trocken und angezogen wieder in ihren Rollstuhl zu bekommen? Mit einigen Hürden und viel Geduld seitens Frau H. habe ich es geschafft und kann sie fix und fertig in den Aufenthaltstraum bringen, der aufgrund der Abstandsregelung nur mäßig gefüllt ist. „Schlachtfeld“ aufräumen, desinfizieren, fertig zur Pause.

Alle Mitarbeiter frühstücken auf der Etage, auf der sie gerade eingesetzt sind, natürlich mit ausreichend Abstand. Vor Corona haben alle Kollegen zusammen gesessen, das war auf jeden Fall schöner fürs Team, hört man aus Erzählungen. Herrn L. interessiert das Ganze nicht. Er steht bei uns, sucht die Nähe. Frau K. ist währenddessen am Tisch im Aufenthaltsraum mit dem Kopf auf der Brust eingenickt und wird nun gerade munter. Sie stöhnt und ruft „au, aua, mein Nacken“. Ich setze den Mundschutz auf und rede mit ihr, massiere ihr etwas die Schulter, sie sagt: „au, mein Nacken ist so, ist so, Gulasch“. Wir lachen beide herzhaft. Da war es wieder, das was mir in meinem aktuellen Arbeitstag so fehlt gibt es auch hier, nur anders, man findet es, wenn man aufmerksam ist. Immer wieder kommt derweil Bernd vom Fahrdienst, jetzt Pförtner im Seniorenhaus, nach oben und bringt Apothekenbestellungen und hauptsächlich Dinge, die von den Angehörigen bei ihm abgegeben wurden. Zum Muttertag fanden sich einige Blumensträuße auf den Nachttischen.

Die Pause ist vorbei und ich überlege was zu tun ist. Das ist übrigens immer noch häufig so. Diese ganzen Abläufe und Handlungsschritte, oh man. Stecklaken kommen in den rosa Sack, Bettwäsche, Handtücher, Lappen kommen in den hellen Sack, vorausgesetzt es befindet sich kein Sack im Zimmer, die Inko kommt in eine Mülltüte und dann in die Abfalltonne, die Netzhosen werden extra in einem Eimer gesammelt. Die Bewohnerwäsche kommt im Zimmer jeden Dienstag, Donnerstag und Sonntag in einen extra Sack und dann in einen extra großen Behälter und dies und das und jenes. Ich schaue durch die Zimmer, reiche Getränke, schaue in die Inko, lagere, fülle Material nach, räume auf und lege Wäsche für den nächsten Tag zurecht. Zwischendurch immer wieder desinfizieren und Handschuhe an-, bzw. ausziehen, Mundschutz hoch und runter. Auf dem Flur kommt mir ein Angehöriger mit Mundschutz entgegen, ich trage meinen, wir begrüßen uns, der erste, den ich hier sehe. Er besucht seine Schwester und „meckert“ mit ihr noch bevor die Tür zu ist, ich muss schmunzeln.

Das Verteilen der Medikamente steht an. Ich liege gut in der Zeit und schaffe die 2. sowie die 3. Etage. Der Angehörige hat sich zwischenzeitlich mit seiner Schwester vertragen, sie sitzen im Zimmer, weit auseinander, er mit Mundschutz, beide plaudern. Es ist schön auf der oberen Etage ein paar andere Gesichter zu sehen, die Bewohner können ein paar Worte loswerden, wie ich auch.

Der Ablauf des Mittagessens ist genauso wie zum Frühstück, mit allem drum und dran. Herr K. ist weiterhin schwach und schläfrig, lehnt das Essen und auch Medikamente deutlich ab. Ich lasse ihn in Ruhe, schaue nur noch kurz in die Vorlage, lagere ihn. Nach und nach lege ich die Bewohner zur Mittagsruhe hin, mache die Inkontinenzversorgung und lagere sie. Anschließend reinige ich meinen Wagen, packe Müll- und Wäschesack zusammen, hat die Kollegin nach mir auch noch genug Material? Bepackt fahre ich mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss um alles zu entsorgen. Der Spätdienst ist gerade gekommen. Gestern habe ich die Zugangsdaten für den Computer und eine Einweisung in das Programm bekommen, was mir bisher gänzlich unbekannt war. Jetzt dokumentiere ich alles Mögliche, es klappt ganz gut und macht sogar Spaß. Noch ein paar Aufräumarbeiten, bevor der Dienst zu Ende geht. Ich bin echt kaputt, körperlich und auch psychisch. Es ist immer noch eine sehr ungewohnte Arbeit, die ich mir, für mich ganz persönlich, nicht auf Dauer vorstellen kann.

Ich wurde im Team des Seniorenhauses ganz toll aufgenommen, danke dafür! Die Kollegen haben meinen allergrößten Respekt! Es ist enorm, was hier täglich geleistet wird und durch Corona noch soo viel mehr.

P.S. Am Abend zeigt mein Schrittzähler 10.416 Schritte, doppelt so viel wie an Arbeitstagen in der Tagespflege."

Bericht Kita
Bericht 2 – Wie Corona meinen Lebensalltag durcheinander brachte
 
Bis zum 07. März 2020 lief alles, wie gewohnt. Ich bewältigte mit viel Spaß und Freude neben dem alltäglichen Wahnsinn in und mit meiner tollen Familie alle großen und kleinen Herausforderungen, die das Leben in unserer Kita „Sonnenland“ mit den Kindern, den Eltern und Kolleginnen so an uns stellt.
 
Plötzlich überschlägt sich am Samstagnachmittag zwischen Hausputz und Kaffee mein Handy mit Whatsapp-Nachrichten. Auf einer Besprechung im Neustädter Gestüt, an der Mitarbeiter des Gestütes und Lehrer der Schule meines Sohnes teilnahmen, soll eine mit dem Coronavirus infizierte Frau aus Berlin teilgenommen haben.
 
Corona – eigendlich so weit weg, nämlich in Italien, Österreich oder aber in Bayern, war nun plötzlich in meiner Heimatstadt Neustadt angekommen.
Wer hat sich von den teilnehmenden Lehrern angesteckt? Mit welchen Schülern hatten diese Lehrer Kontakt? Fragen über Fragen. Dann die Nachricht unter vielen: „Alle Schüler, Lehrer und Eltern müssen für eine Woche in Quarantäne“…???? Was??? Wie soll das funktionieren??? Ist das ein Fake???
 
Die Nachrichten überschlugen sich weiter bis zum Sonntagabend. Ich informierte meine Chefin, doch viele Fragen blieben offen. Zum späten Abend dann die Gewissheit. Tatsächlich müssen alle zu Hause bleiben. Bis Freitag der kommenden Woche. Ein Jubelschrei aus dem Zimmer meines Sohnes, auch seine Nachrichten aus dem Klassenchat überschlugen sich und nun die Gewissheit: KEINE SCHULE BIS FREITAG!!! JUCHU!!!
 
Aber nun wurde uns langsam klar, was Quarantäne bedeutet. Keine Kontakte mehr, kein eigener Einkauf, die Angst um meine Eltern, mein Vater hat gerade eine Krebserkrankung besiegt und nun kam dieses „Corona“! Au Mann!
In der weiteren Woche wurden wir weiter mit Informationen per Telefon, Presse und Landkreis überschüttet. Die Gewissheit war nun da, bis Dienstag, den 17. März geht nichts.
 
So genossen wir die Zeit in der Familie. Eine noch nie gemachte Erfahrung, zusammen viel Zeit verbringen, keine Hetze, den Garten zusammen genießen. Doch! … ganz schön war´s!
Aber der Blick weiter zeigte plötzlich, das Virus rüttelt das ganze gesellschaftliche Leben durcheinander. Der heiße Draht mit der Kita und meiner Stellvertretung machte deutlich, es gibt weitere Einschränkungen. Hochachtung von mir an dieser Stelle für das Engagement meiner tollen Kolleginnen in der Kita. Souverän stellten sie sich in diesen Tagen den ach so fragenden, verunsicherten Eltern. Anträge auf eine Betreuung für Eltern, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, mussten nun schnellstmöglich von den Eltern an die Stadt Neuruppin gestellt werden. Das Telefon stand nicht mehr still! Meine Stellvertretung Anette Drewes sprang zwischen Kindern und Büro hin und her. Ich derweil zu Hause in telefonischer Dauerleitung mit der Kita.
 
Dann die neue Gewissheit: ab dem 18. März werden alle Kitas schließen, um die weitere Verbreitung des Virus möglichst einzudämmen.
Nun kamen alle Kolleginnen zu gewohnten Zeiten am 18. März zum Dienst, auch ich. Ein Paket voller Verhaltensvorschriften im Gepäck. Eine kleine Beratung schnell und auf Abstand zur Besprechung des weiteren Fahrplans. Ein Schwall von Wut und Unmut von einigen Kolleginnen überrollte mich nun an meinem ersten Arbeitstag nach der Quarantäne. Mein sonst so harmonisches Team wurde aus dem Fahrwasser gerissen. Groll, Ängste, sich selbst anzustecken, lautes Äußern von Unverständnis darüber, dass trotz der nur zwei zu betreuenden Kinder alle Kollegen vor Ort im Dienst sein müssen usw. Das galt es nun zu bewältigen. Zu meinem großen Glück kennen wir uns alle schon so gut und wissen auch in dieser Situation gut miteinander umzugehen. Das Fazit war dann doch gemeinsam: „Die Situation ist jetzt so, wie sie ist. Wir müssen sie annehmen und gemeinsam händeln!“ Und gerade durchfährt mich beim schreiben ein Glücksgefühl und große Dankbarkeit für mein Team. „Danke, dass Ihr so seid, wie Ihr seid! Danke, dass es Euch gibt!“
 
Die nächsten Tage verbrachten wir mit unzähligen Gesprächen über das Thema Corona, bis wir es alle nicht mehr hören konnten. Wir erstellten einen Arbeitsplan für zu erledigende Arbeiten, wie Dokumentationen, Aussortieren, Aufräumen, Putzen usw. Wir scherzten darüber, dass wir nach Corona sicher zur saubersten und ordentlichsten Kita ernannt werden. Nebenbei kamen jedoch auch immer wieder Ängste hoch, wie wird es hier beim ASB weitergehen. Werden die Gehälter weiter bezahlt? Kann der Träger das finanziell aushalten?
Das Telefon stand weiter nicht still. Welchen Kindern steht eine Betreuung zu. Über die Tage erhöhte sich die Zahl auf fünf Kinder. Ein perfekter Personalschlüssel! Zeit zu haben, sich mit jedem einzelnen Kind intensiv zu beschäftigen. Kinder, die noch nicht richtig eingewöhnt waren, konnten jetzt ganz behutsam ankommen. Einen Monat später waren alle vier Gruppen mit ca. fünf, später mit acht Kindern belegt. Das war die Grenze, die wir für uns festlegten, um möglichst gut eine Durchmischung der Gruppen zu vermeiden und alle Hygienerichtlinien einzuhalten. Ständige Anrufe von Eltern, die ihren Unmut darüber äußerten, dass es keine oder nur schleppend zur Bewilligung der Notbetreuung durch die Stadt Neuruppin und später durch den Landkreis kam, galt es zu ertragen. Glücklicherweise lag das nicht in unserer Hand und wir konnten uns da gut herausnehmen.
 
Rückblickend sind sich alle Kolleginnen einig, dass es ein super angenehmes Arbeiten mit den Kindern und auch im Team war.
Für mich als Leitung war es die größte Herausforderung meines gesamten 30-jährigen Berufslebens und hat mich absolut an die Belastungsgrenze gebracht. Ständig neue Vorgaben von den Ämtern und Behörden, gefühlt jeden zweiten Tag eine neue Dienstanweisung, den Blick auf die Einhaltung von Verhaltensvorschriften, die Kontrolle von Gesundheitsamt und Landkreis über die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Vorgaben, das ständige Dokumentieren der Betreuungszahlen, das Auffangen von verunsicherten Mitarbeitern, das Verarbeiten von meinen eigenen Ängsten vor Ansteckung hier in der Kita und auch im Privaten und dann noch Homeschooling mit meinem Sohn, PC-Arbeit bis dato für ihn absolutes Neuland, die Schule nicht unbedingt up to date diesbezüglich. Bei dem Gedanken daran, werde ich schon wieder unruhig.
 
Was ich noch erwähnen muss: ich fühlte mich in jeglicher Hinsicht absolut von der Geschäftsführerin und den Mitarbeitern der Geschäftsstelle unterstützt. Wir sind dankbar dafür, dass nie die Frage laut wurde, über Kurzarbeit o.ä. nachzudenken und wir so bis jetzt ganz gut durch die Krise gekommen sind. Auch von der Mehrheit der Eltern kam uns viel Verständnis entgegen, obwohl auch sie in unglaublichem Maße herausgefordert waren. Wir hoffen, dass wir weiter den jetzigen Alltag (mit auszuhaltenden Einschränkungen) leben können und alle gesund bleiben.